Biografische Skizzen
Für unsere Kenntnis über das Warschauer Ghetto spielen die Mitglieder der Untergrundbewegung Oyneg Shabbes eine entscheidende Rolle. Ohne sie gäbe es die Sammlung an Dokumenten — das Ringelblum-Archiv — als Zeugnisse für spätere Generationen nicht. An dieser Stelle finden sie ausgewählte Kurzbiografien dieser Widerstandskämpfer sowie weiterer Personen.
Auerbach, Rachel
Rachel Auerbach wurde am 18. Dezember 1903 im ukrainischen Lanivtsi geboren und starb am 31. Mai 1976 in Tel Aviv. Nach ihrem Studium unter anderem der Philosophie und der Psychologie arbeitete sie als Journalistin in Warschau bis zum Beginn der deutschen Besatzung. Ab 1940 leitete sie eine Suppenküche im Warschauer Ghetto, während sie gleichzeitig begann, im Untergrundarchiv von Emanuel Ringelblum mitzuarbeiten. Im März 1943 gelang ihr die Flucht aus dem Ghetto. Den Holocaust überlebte sie in verschiedenen Verstecken. Nach Kriegsende führt sie die Arbeiten von Oyneg Shabbes fort und arbeitete in der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission in Polen. Auch dank ihrer Hilfe wurden später Teile des Untergrundarchivs gefunden. Im Jahre 1947 immigrierte sie nach Israel und leitete dort die Abteilung für Zeitzeugenberichte der Gedenkstätte Yad Vashem. 1950 veröffentlicht sie den Bericht „Auf den Feldern von Treblinka“. Dabei handelt es sich um einen ausführlichen Bericht über das Vernichtungslager Treblinka. Mit ihrer Arbeit wollte sie es den Opfern des Holocaust ermöglichen, ihre Überlebenserfahrungen an die späteren Generationen weiterzugeben. 1960/61 nahm sie am Prozess gegen gegen Adolf Eichmann teil. Eine ihrer Aussagen dazu: „Es soll endlich bei allen Menschen in allen Ländern das volle Bewusstsein aufgehen, wozu Faschismus, Totalitarismus, Gleichgültigkeit, politische Indifferenz und die Trägheit der Massen führen ... wozu die Wiederherstellung deutscher Stärke führen kann!"
Czerniaków, Adam
Adam Czerniaków wurde am 30. November 1880 in Warschau geboren und starb am 23. Juli 1942 im Warschauer Ghetto. Er gehörte einer polnisch-jüdischen Familie an und entkam den Deportationen durch seine Funktion als Vorsitzender des Judenrates des Warschauer Ghettos. Vor seinem Ingenieurstudium an den Technischen Universitäten in Dresden (1900 bis1908) und Warschau (1908 bis 1912) hatte er die Handelsschule in Warschau besucht. Überliefert sind seine Warschauer Tagebücher. In seinem letzten Brief, den er verfasste, bevor er sich das Leben nahm, schrieb er: „Ich habe beschlossen abzutreten. Betrachtet dies nicht als einen Akt der Feigheit oder eine Flucht. Ich bin machtlos, mir bricht das Herz vor Trauer und Mitleid, länger kann ich das nicht ertragen. Meine Tat wird alle die Wahrheit erkennen lassen und vielleicht auf den rechten Weg des Handelns bringen ..." Adam Czerniakow wollte nicht für die Vernichtung von Hunderttausenden Juden verantwortlich sein. In „Warschau, Warschau“ von Didier Zuili wird dieser Gewissenskonflikt dargestellt.
Edelman, Marek
Marek Edelman wurde am 1.Januar 1919 im weißrussischen Gomel geboren und starb am 2.Oktober 2009 in Warschau. Er schloss sich der linken polnisch-jüdischen Jugendorganisation, „Tsukunft“, an und forderte andere dazu auf, Widerstand gegen die deutschen Besatzungssoldaten zu leisten. Im Sommer 1942 begannen Marek Edelman und seine Mitstreiter mit Vorbereitungen für eine bewaffnete Aktion. Dies sollte ein Zeichen der Auflehnung darstellen und der Beweis, dass Juden nicht vorhatten, sich angesichts der drohenden Vernichtung in Treblinka „wie Schafe zur Schlachtbank“ führen zu lassen. Er war Mitgründer der Kampforganisation ZOB und einer der drei stellvertretenden Kommandeure unter der Führung von Mordechaj Anielewicz. Zu Beginn des Aufstandes kämpfte Edelman im Gebiet der Bürstenfabrik. Am 10. Mai 1943, vor dem Ende des Ghettoaufstands, gelang es ihm, durch einen Kanalschacht zu fliehen. Nach seiner Flucht schloss er sich der polnischen Untergrundarmee „Armia Krajowa“ an und kämpfte gegen die Deutschen. Er schaffte überlebte das Kriegsende.
Graber, David
David Graber wurde 1923 vermutlich in Warschau geboren und starb zwischen August 1942 und Mai 1943. Er war beteiligt an der Sicherung der Archivmaterialien von „Oyneg Shabbes“. Das, was über David Graber bekannt es, geht aus dem Archiv hervor, dem er biografische Informationen hinzugefügte. Er war aktiv in der sozialistischen Partei „Poale Zion“.
Krzepicki, Abraham Jacob
Abraham Jacob Krzepicki wurde 1915 im polnischen Praszka geboren und starb am 22. April 1943. Er war Mitgründer und wichtiger Mitarbeiter des Untergrundarchivs. Von 1928 an lebte er mit seiner Familie in Danzig. 1938 trat er in die polnische Armee ein und kämpfte für sein Land. Als Kriegsgefangener wurde er ins Warschauer Ghetto verbracht. Seit 1940 war er Mitglied der zionistischen Jugendgruppe „Ha-Hoar Ha-Tsiyoni“. Am 25. August 1942 wurde er nach Treblinka verschleppt. In den Wochen in dem Vernichtungslager vergrub er Tote, sortierte die Besitztümer der Ermordeten und säuberte die Straßen, die zu den Gaskammern führten. Am 13. September 1942 konnte er mit einem Zug, der mit den Kleidern der Ermordeten beladen war, aus Treblinka entkommen. Nach seiner Ankunft in Warschau schloss er sich der jüdischen Kampforganisation ZOB an. Er starb während des Warschauer Ghettoaufstands im April 1943.
Lichtenstein, Israel
Israel Lichtenstein wurde um 1904 geboren und starb im Mai 1943 in Warschau, wo er als Lehrer die Ghettoschule geleitet hatte. Seine Arbeiten für das Untergrundarchiv waren für den Erhalt des Archivs enorm wichtig. Israel Lichtenstein wurde von Emanuel Ringelblum engagiert, um bei Oyneg Shabbes mitzuarbeiten. Als die Deportationen im Juli 1942 begannen, vergrub Lichtenstein mit zweien seiner Schüler, darunter David Graber, den ersten Teil des Archivs in kleinen Metallboxen unterhalb seiner ehemaligen Schule in der Nowolipki Straße, da er glaubte, dass ihr Tod bald folgen würde. Er und seine Familie überlebten die Deportationen. Dadurch hatte er die Möglichkeit, im Februar des Jahres 1943 einen weiteren Teil des Archivs im Keller eines alten Hauses in Milchkübeln vergraben. Seine Familie und er wurden während des Ghettoaufstandes im Mai 1943 getötet.
Linder, Menachem
Menachem Linder wurde im Jahre 1911 im ukrainischen Snjatin geboren und starb am 18. April 1942 in Warschau. Er war Wirtschaftswissenschaftler, Sekretär der jüdischen Historischen Kommission in Polen, ein enger Freund Emanuel Ringelblums und Mitbegründer von Oyneg Shabbes. Im Warschauer Ghetto organisierte er literarische Events und lehrte die jiddische Sprache und Kultur.
Pullman, Simon
Simon Pullman wurde am 15.Februar 1890 in Warschau geboren und starb im August 1942 im Vernichtungslager Treblinka. Im Jahre 1921 wurde er Professor für Geige, Bratsche und Kammermusik in Wien. im Jahre 1928 trat er aus der israelischen Kultusgemeinde aus. Nach dem Austritt besuchte er seine Familie in Warschau, wo er vom deutschen Überfall auf Polen überrascht wurde. Im Ghetto gefangen, gründete er mit zwei Kollegen das jüdisches Symphonieorchester, das unter anderem Werke von Mozart, Vivaldi und Beethoven aufführte, bis es im Jahre1942 aufgelöst wurde. Unter den 300 000 Juden nach Treblinka deportierten Juden befanden sich alle Mitglieder des Orchesters. Auch Simon Pullman selber wurde deportiert und starb in Treblinka.
Reich-Ranicki, Marcel
Marcel Reich-Ranicki wurde am 2.Juni 1920 im polnischen Wloclawek geboren und starb am 18.September 2013 in Frankfurt am Main. Seine Eltern schickten ihn im Jahre 1929 nach der Insolvenz seines Vaters zu Verwandten nach Berlin, wo er das Abitur absolvierte. Im Jahre 1938 wurde er wie Tausende andere staatenlose und polnische Juden aus Deutschland ausgewiesen und kam nach Warschau, im jahre 1940 ins Warschauer Ghetto. Dort heiratete er Teofila Langnas. Durch seine Tätigkeit als Übersetzer für den Judenrat war auch sie vor den Deportationen zunächst geschützt. Marcel Reich Ranicki arbeitete auch für Oyneg Shabbes. Während seine Eltern und sein Bruder in Konzentrationslagern starben, konnte er mit seiner Ehefrau im Januar 1943 aus dem Warschauer Ghetto fliehen. Im Jahre 1946 trat er in die Kommunistische Partei und arbeitete von England aus für den polnischen Geheimdienst. Nach einer kurzen Phase in Polen, wo er als Lektor für deutsche Literatur und als Schriftsteller arbeitete, siedelte er 1958 in die Bundesrepublik Deutschland um und blieb dort. Für die Wochenzeitung „Die Zeit“ und später für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ arbeitete er als tonangebender Literaturkritiker.
Reich-Ranicki, Teofila , geb. Langnas
Teofila Reich-Ranicki wurde am am 12.März 1920 im polnischen Lodz geboren und starb am 29. April 2011 in Frankfurt am Main. Ihr Vater nahm sich das Leben, nachdem er von der NS enteignet und gefangen genommen worden war. An diesem Tag lernet sie Marcel Reich-Ranicki kennen, den sie später heiratete. Sie arbeitete daran, dass die Geschehnisse im Warschauer Ghettos festgehalten wurden. Über ihre Zeit im Ghetto fertigte sie Zeichnungen an, welche sie im Jahre 1999 in ihrem Buch „Er war der letzte Augenblick“ veröffentlichte. Über ihre Zeit im Ghetto legte sie ein satirisches Album über die Tätigkeit des Judenrates an. Mit ihrem Ehemann gelang ihr die Flucht aus dem Warschauer Ghetto.
Ringelblum, Emanuel
Emanuel Ringelblum wurde am 21.November 1900 in Buczacz im damals zu Österreich gehörigen in Galizien geboren und starb am 7. März 1944 im Warschauer Ghetto. Seine Mutter verlor er, als er zwölf Jahre alt war, seine Ausbildung und sein Studium musste er sich hart erarbeiten. Veröffentlicht sind seine Warschauer „Tagebücher aus dem Chaos“ und seine Dissertation „Die Juden in Warschau von denn Anfängen bis zum Jahr 1527“, die er an der Philosophischen Fakultät der Warschauer Universität ablegte. Er arbeitete als Wissenschaftler, Pädagoge und Politiker. Ringelblum gründete und leitete das Untergrundarchiv „Oyneg Shabbes“, das insgesamt etwa 25.000 Seiten umfasste. Am 7. März 1944 wurde er mit seiner Frau und seinem Sohn von den Deutschen entdeckt und wenig später im Warschauer Gefängnis Pawiak erschossen. „Warschau, Warschau“ setzt ihm ein literarisches Denkmal.
Sendler, Irena
Irena Sendler wurde am 15.Februar 1910 in Warschau geboren und starb am 12.Mai 2008 ebendort. Sie war bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges Sozialarbeiterin in der Wohlfahrtsabteilung der Stadt Warschau. Sie kümmerte sich mit ihren Kollegen um viele von Armut betroffenen Menschen, die aus ihren Wohnung vertrieben worden waren. In dieser Funktion unterstützte sie auch die jüdische Bevölkerung. Dies war nach Abriegelung des Ghettos so nicht mehr möglich. Irena Sendler setzte ihr eigenes Leben aufs Spiel, um ins Ghetto zu gelangen, um kranken Menschen zu helfen. Sie nutzte angebliche sanitäre Inspektionen als Vorwand, um ins Ghetto zu gelangen. Ihr gelang es, vielen Juden zur Flucht zu verhelfen. Dazu organisierte sie dazu Verstecke, Nahrung und medizinische Versorgung außerhalb des Ghettos. In der Untergrundorganisation Zegota („Rat für die Unterstützung von Juden“) wurde sie im September 1943 Leiterin für die Abteilung der Versorgung von jüdischen Kindern. Sie nutzte Kontakte zu Waisenhäusern und Einrichtungen für verlassene Kinder, um die Kinder unterzubringen. Die meisten Kinder konnten im Warschauer Waisenhaus „Rodzina Marii“ untergebracht werden. Andere Kinder blieben bei Nonnen im nahegelegenen Chomotow oder Turkowice in Lublin. Im 20. Oktober 1943 wurde Irena Sendler festgenommen und zum Tode verurteilt. Untergrundaktivisten schaffen es, Beamte zu bestechen, um so Irenas Freilassung im Februar 1944 zu erreichen. Nachdem sie kurzzeitig ihre Arbeit in der Zegota fortsetzte, musste sie untertauchen, um dem Risiko erneut gefasst zu werden zu entgehen.
Wasser, Hersz
Hersz Wasser wurde am 13.Juni 1912 im polnischen Suwalki geboren und starb im Jahre 1980 in Israel. Seine Mutter Estera Wasser starb unter unbekannten Umständen im Ghetto Lodz. Er war Anwalt und Ökonom und einer der wenigen Überlebenden des Holocaust, der am Untergrundarchiv mitarbeitete. Auch seine Ehefrau Frau Bluma Wasser überlebte den Holocaust. Hersz Wasser leitete die zentrale Flüchtlingskommision der jüdischen sozialen Selbsthilfe und war als erster Sekretär des Ringelblum-Archivs einer von Ringelblums wichtigsten Mitarbeitern. Da er wusste, wo sich Teile des Untergrundarchivs befanden, konnte er im September 1946 dazu verhelfen, dass der erste Teil des Archivs ausgegraben werden konnte.
(Biografien zusammengetragen von Valerie Hauser)
Quellen:
-https://www.yadvashem.org/yv/de/exhibitions/righteous-women/sendler.asp
-https://www.ghwk.de/en/exhibition/crimes-uncovered/rachel-auerbach
-https://verwaltungshandbuch.bavarikon.de/VWH/Dengel,_Oskar#lang-de
-https://www.yadvashem.org/de/exhibitions/ringelblum-archive/about-emanuel-ringelblum.html
-https://www.bpb.de
-https://www.holocaust-denkmal-berlin.de/raum-der-namen/biographien/biographie/11675